Endlich mal was zum träumen! Gerade in düsteren Zeiten begrüßen wir positive Geschichten. Wir brauchen Erzählungen, die uns inspirieren und Mut geben: Narrative der Hoffnung. Die finden wir zuhauf in diesem Band, der uns eindrucksvolle Schicksale näher bringt. Das Buch eröffnet aber auch durch einen seltsamen Blick auf das „Phänomen Greta“ eine Debatte, die über die Würdigung junger Heldinnen weit hinaus geht. Bettina Weiguny scheint ein Problem mit Greta zu haben. Dabei trifft sie, gewollt oder nicht, die Essenz der Problematik. Die Frage ist: Warum wissen wir so viel und tun wir so wenig? Warum wehren wir uns, wenn Greta schimpft, wir hätten nur Geld im Kopf? Warum verfallen wir so leicht in das klassische „Ja, aber“ der Untätigen? Wie können wir Greta loben und sie gleichzeitig als unredlich oder gar fanatisch abtun? Darauf kommen wir noch zurück.

Vertiefen wir uns zunächst in diese wunderbaren Geschichten aus aller Welt, die mutigen Taten junger Mädchen (auch ein paar Jungs sind dabei), die vor allem eines sagen: Basta! „Wohl erstmals in der Geschichte erheben nicht-weiße Mädchen ihre Stimme gegen eine Welt, die von weißen Männern geprägt wurde“ schreibt Bettina Weiguny (s.17). Die Ziele dieser jungen Frauen sind immens: „Sie wollen die Erde retten; sie kämpfen für ihre Rechte als Mädchen, wollen selbst bestimmen, wer sie sind... und sie wollen die Benachteiligung von Minderheiten beenden.“ (s.18)

 

Bettina Weiguny

Denn es ist unsere Zukunft

Junge Rebellinnen verändern die Welt – von Greta Thunberg bis Emma González

Rowohlt, 2021, 251 s., 16€

ISBN 978-3-7371-0111-0

Bettina Weiguny

Isabel und Melati Wijsen waren gerade 10 und 12 Jahre alt, als sie 2013 auf Bali dem Plastik den Kampf ansagten. Aufräumaktionen durch Schüler gibt es vielerorts. Aber mit 45000 Schülern an 325 Stellen auf Bali 135 Tonnen Müll einsammeln? Solche Erfolge sind keineswegs alltäglich. Trotzdem bewirkte es politisch nichts, ebenso wenig wie die Aktion „Eine Million Unterschriften“ - der Gouverneur von Bali wollte die Mädchen partout nicht treffen. Die aber blieben hartnäckig. Bettina Weiguny beschreibt nicht nur den Ablauf ihres Kampfs. Sie zeigt auch Hintergründe, wie die Eltern und eine gute Schule die Mädchen ihrem Ziel näher brachten. „2014 werden die Wijsen-Schwestern zu einem großen Umweltkongress nach Mumbai eingeladen... Für ihre Rede dort erhalten sie stehenden Applaus“ (s. 97). Ein Besuch im Haus Gandhis, den die Mädchen schon lange bewundern, festigt ihren Entschluss: Sie wollen einen Hungerstreik durchführen. „Die Eltern schalten einen Ernährungsberater ein, mit dem die Mädchen sich schließlich auf einen Kompromiss einigen: Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang werden wir so lange nicht essen, bis der Gouverneur von Bali sich mit uns zusammensetzt.“ (s.98). Die Strategie geht auf und seit Mitte 2019 ist Einweg-Plastik auf der Insel verboten. Ihren Weg können wir auch auf YouTube verfolgen, etwa in diesem TED-Auftritt von 2016 

Ersatz für Plastik fanden die streitbaren Schwestern bei den „Mountain Mamas“, die Tüten aus recycelten Materialien herstellen.

 

„In Indonesien sind es die jungen, gutausgebildeten Menschen wie die Wijsen-Schwestern, die an der Schule über Umweltschutz und Klimawandel, Plastikmüll und Kreislaufwirtschaft aufgeklärt werden, die Situation nicht mehr akzeptieren und aktiv werden,“ schreibt Bettina Weiguny (s.102). Und diese Aktionen schließen sich oft zusammen zu landesweiten Bewegungen. So auch auf der Nachbarinsel Java, wo die Brüder Gary und Sam Bencheghib aktiv werden. Quoten-Jungs? Mag sein, aber hier können sich alle engagieren. Und das haben die beiden mit großem Mut und Durchsetzungsvermögen getan. „Sie bauen sich aus Bambus und alten Plastikflaschen zwei Kajaks und paddeln zwei Wochen lang den Citarum-Fluss hinunter. Achtundsechzig Kilometer auf dem dreckigsten Fluss der Welt.“ (s. 103). Den kann man sich in dieser Doku der Deutschen Welle anschauen.  Und hier ein Blick auf die Brüder in ihren Kajaks auf dem Citarum. Auch das Abenteuer auf dem Dreckfluss zeigte dank guter medialer Begleitung politische Wirkung: Die Regierung setzte das Militär ein, um wenigstens anzufangen mit dem Aufräumen.

 

Aber die anderen Protagonisten dieses Buches sind Mädchen, junge Frauen in einer Vielfalt von Situationen und vor einer unglaublichen Vielfalt von Problemen. Sie alle beweisen, wie man mit Mut und Hartnäckigkeit sein Ziel erreichen und seine Mitmenschen bewegen kann. Sihati Pingali etwa, die im indischen Bengaluru lebt, dem meist als Bangalore bekannten Silicon Valley Indiens (s. 111 ff). Als 16-jährige fragte sich Sihati, warum die Seen in ihrer Stadt so oft brennen. Also entwickelte sie eine App, um verschmutze Gewässer zu analysieren. Auch sie erklärt das in einem TED-Talk.

 

Den Mädchen und jungen Frauen in diesem Buch geht es nicht nur um die Umwelt. Eindrucksvoll kämpft etwa Natasha Mwansa gegen die Kinderehe – seitdem sie 12 ist! Selbstbewusst ruft sie den Politikern zu, sie sollen nicht versuchen, etwas ohne die Jugend zu unternehmen. „Zwei Fünftel der Weltbevölkerung sind unter 25 Jahre alt, das sind mehr als drei Milliarden Menschen“ (s. 24). Auch Natasha kann man in Aktion bewundern. Bettina Weiguny beschreibt den Werdegang der jungen Aktivistin aus Sambia, die eines Tages UNO-Generalsekretärin werden will (s.131). Schon mit 12 tritt sie einer NGO bei, gründet dann im selben Jahr eine eigene Stiftung. Heute streitet sie zusammen mit der Unicef für ihr Ziel, denn weltweit werden noch 12 Millionen Mädchen unter 18 zwangsverheiratet.

 

Auch in Nigeria und Indien kämpfen junge Mädchen gegen Zwangsehen (s. 137 und s. 141). Und in Malawi packt Memory Banda einen besonders tückischen Feind an: Die als „Tradition“ gerechtfertigte Vergewaltigung junger Mädchen. Sobald sie zum ersten Mal ihre Tage haben, kommen sie in ein Initiationscamp. „Was das bedeutet, ist schauderhaft: Die Mädchen werden da unterwiesen, gehorsam zu sein, dem Mann zu dienen, genügsam, folgsam und duldsam“ (s.144). Am letzten Tag des Seminars vergewaltigt ein erwachsener Mann jedes Mädchen.

 

Einige Kämpfe in diesem Buch sind kaum bekannt, etwa die Forderung der Britin Amika George nach Tampons für die Armen (s. 147). Eine Kinderrechtsorganisation schätzt. „dass sich jedes zehnte Mädchen in Großbritannien keine Menstruationsprodukte leisten kann“ (s.148). Amika George nennt das „eine verstecktes Problem, eine nicht bekannt Krise.“ Sie erklärt es auf TED.

 

Jazz Jennings, ein als Junge eingestuftes Transgender Mädchen, die kämpfen musste für ihre wahre Identität, wurde in den USA berühmt mit einer eigenen Talkshow (s. 155). Die Schülerin Emma González nimmt es mit der Waffenlobby auf, nachdem ein ehemaliger Schüler an ihrer Schule in Parkland, Florida, 17 Menschen tötet und weitere 15 verletzt. „Emma hat überlebt,“ schreibt Bettina Weiguny, „Sie wird zum Sprachrohr der Opfer und der Anti-Waffen-Bewegung Amerikas“ (s. 169). Eine schwere Aufgabe in einem Land mit mehr Handfeuerwaffen als Einwohner. Auch Naomi Wadler engagiert sich im Kampf gegen rassistische Waffengewalt in der Bewegung #Black Lives Matter. Sie ist erst 11, als sie am 24. März 2018 am „March For Our Lives“ in Washington für die vergessenen schwarzen Mädchen und Frauen spricht.

 

Und die Liste ist noch lange nicht zu Ende. Wir können lernen von diesen Mädchen in der Vielfalt ihrer Kämpfe und der Selbstlosigkeit ihres Engagements. Das ist ermutigend und beschämend zugleich. Diese jungen Frauen beweisen: man kann mehr tun. Und es ist das Verdienst dieses Buches, dass es uns so viele und so diverse Vorbilder zeigt.

 

So weit, so gut. Mit Greta Thunberg hat Bettina Weiguny allerdings ein Problem. Gewiss würdigt sie die Leistungen der jungen Schwedin. Es schimmert aber immer wieder ein dunkles „ja, aber“ durch die Leinwand ihres Bildes.

 

Zurecht erinnert sie uns an die Vorläuferinnen Gretas, an Malala Yousafzai etwa, die in Pakistan für das Recht von Mädchen auf Schule kämpfte und dafür von den Taliban mit einem Kopfschuss belohnt wurde. Sie überlebte, wurde weltberühmt und erhielt 2014 den Friedensnobelpreis. Und natürlich darf Severn Cullis-Suzuki nicht fehlen, die Bettina Weiguny zurecht „Ur-Greta“ nennt (s. 29). Denn Severn ermahnte uns schon 1992 an der Klimakonferenz von Rio mit denselben Worten wie Greta: „Wir sind 5000 Meilen gereist,“ sagt Severn den versammelten Politikern aus aller Welt, „um euch zu sagen, dass ihr eure Gewohnheiten ändern musst.“

 

Knapp und klar greift Bettina Weiguny im ersten Kapitel „Achtung, die Mädchen kommen“ (s.13 – 36) wichtige Fragen auf zu den Ursprüngen des neuen Mädchen- und Frauenaufstandes. In den USA werden die Klimastreiks zu 68 Prozent von Frauen organisiert (s. 32). Ich habe zwar nicht genau mitgezählt im Jahr, als wir noch demonstrieren durften. Aber wenn ich meine Fotos anschaue glaube ich, dass diese Proportion auch für den Landkreis Stade zutreffen könnte.

 

Dann wird es problematisch. Im kurzen Kapitel 2 „Rebellinnen oder Influencerinnen?“ ( s. 37 – 43) lässt Bettina Weiguny die US-First Lady Michelle Obama zu Wort kommen. Das ist nicht mehr als ein dramaturgischer Kniff, um Rebellinnen von Influencerinnen zu unterscheiden. Überflüssig. Und Michelle Obama, so sympathisch sie auch wirken mag, hat hier gar nichts verloren.

 

„ Greta Thunberg: Heldin einer ganzen Generation“ heißt das Kapitel 3 (s 45 – s. 87). Bettina Weiguny beschreibt sachlich den Werdegang der Schülerin: „Greta Thunberg, das einsame Mädchen vor dem Stockholmer Reichstag, hat es in weniger als einem halben Jahr zu weltweiter Berühmtheit gebracht.“ (s.54). Natürlich darf in einem vollständigen Bericht der Hinweis auf die „Greta-Macher“ nicht fehlen. Dazu müsste man aber erklären, wie dieses Element benutzt wurde, um Greta nieder zu machen. Verliert eine Aussage an Kraft, wenn das emotional gesagte durch professionellen Rat geschliffen wird? Wir haben auf Wiki Stade darauf mit einem schlichten „Na und?“ geantwortet. Und wenn ganze PR-Agenturen beschäftigt wären (sind sie nicht), und wenn Gretas Mutter ein Eurovision-Star wäre (ist sie nicht): Das ändert gar nichts an der Aussage. Diese Geschichten dienen allesamt der Vernebelung der Botschaft, sie sprechen die natürliche Trägheit unserer Gesellschaft an, stimulieren den Unwillen, etwas zu verändern. Deshalb müssen wir das ignorieren, ja bekämpfen.

 

Bettina Weiguny bringt das Thema hier auf eine Ebene, die der Sache nicht gerecht wird. Müssen wir denn lesen, was die Putins und Bolsonaros oder Berlusconis über Greta denken? Und die Kälte von Donald Trump - ein gefährlicher Narziss – dem Auftreten von Greta gegenüberzustellen ist unsinnig. Wahrscheinlich auch ein dramaturgischer Kniff, der total daneben ging. Es gibt auch interessantere Analysen als die Kommentare eines Christian Lindner. Und wenn Gabor Steingart von einer „Rhetorik der Selbstvergottung“ redet (s. 65) und Gretas Rede als „neutestamentarische Verkündung“ definiert, so ist das nicht mehr als die selbstverliebte Phrasendrescherei, in die „Alpha-Journalisten“ so gerne verfallen. Und inhaltlich unsinnig. Auch der britische Historiker Niall Ferguson, wegen homophober Äusserungen an der Harvard-Universität stark umstritten, wird hier bemüht. Warum? Um zu sagen, dass Greta … „die Anführerin einer Endzeit- und Erlösungsbewegung“ sei (s.74). Kann man zitieren. Dann aber bitte dazu sagen, dass eine solche Stimme inhaltlich gar nichts beiträgt und in erster Linie der Vernebelung dient. Über die Wirkung Gretas konnte man mehr und wichtigeres auf den Strassen erfahren - an den „Fridays for Future“ Demonstrationen.

 

Wenn Greta vor der Uno-Vollversammlung in New York mit Tränen in den Augen „How dare you!“ ruft, sieht Bettina Weiguny „...eine Drohung, Verachtung, Hass, Wut.“ (s.59). Letzteres war sicher zu sehen. Man kann ja auch verzweifeln an der Untätigkeit der politischen Elite. Kommt da nicht Wut auf, wenn man sieht, wie sich Wirtschaftsminister Peter Altmeier vor allem um die finanzielle Gesundheit der Kohlekonzerne sorgt? Kommt da nicht Wut auf, wenn man sieht, wie Agrar-Industrie-Ministerin Julia Klöckner einmal mehr die Gelegenheit verpasst, die zerstörerische Agrarpolitik der EU zu reformieren – zugunsten der Großbauern und Konzerne?

 

Aber Wut ist nicht das Wesentliche. Und Wut ist nicht das, was Greta von anderen Rebellinnen unterscheidet. Bettina Weiguny schafft künstliche Gegensätze, wo keine sind (schon wieder dramaturgische Kniffe?). Was bedeutet die Bemerkung, Natasha Mwansa habe in Davos Greta „ausgestochen“? Soll das die Rolle Gretas mindern? Es ist eine Sicht von außen, der Blick auf etwas, das man nicht mitfühlt. Die Mädchen, um die es geht, würden verständnislos mit dem Kopf schütteln beim Begriff „ausgestochen“. Sie stehen zusammen in ihrem Kampf, um die Welt zu retten. Bettina Weiguny schafft wieder eine sinnlose Kluft, wenn sie Natasha Mwansa als „keineswegs verbittert“ beschreibt (s. 135). Ist Greta etwa verbittert? „Ihr geht es nicht um Konfrontation, wie Greta Thunberg ... sie wirbt vielmehr um gemeinsames Handeln,“ heißt es dann über Natasha (s 136).

 

Die künstlichen Gegensätze beweisen nur, dass Bettina Weiguny in ihrem sonst so lesenswerten Buch den Kern der Botschaft Gretas nur teilweise verstanden hat. Mit den Wijsen Schwestern, mit Natasha Mwansa oder Malala lässt sich jeder Politiker nur allzu gerne fotografieren. Wer ist denn nicht gegen Plastikmüll oder Zwangsehen? Und jeder wird sich, an Malalas Seite, Schulbildung für Mädchen wünschen! Präsident Barack Obama besuchte sogar die kleine Kämpferin für Trinkwasserrechte in Flint, Michigan, „Little Miss Flint“ (s. 201). Ein Megalos für seinen Pressechef!

 

Greta aber greift zur Schlagader des herrschenden Wirtschaftssystems. Ohne irgendwie die Leistung der anderen Rebellinnen mindern zu wollen – und dagegen würde sie sich vehement wehren – ist der von Greta an die Oberfläche gebrachte Kampf alles umfassend. Es geht um das Klima, es geht um die Artenvielfalt, es geht um das Überleben des menschlichen Lebens wie wir es kennen auf dem Planeten. Die von Greta immer wieder zitierten Wissenschaftler wissen das seit einigen Jahrzehnten. Jetzt endlich wagen sie es, klarer zu sprechen, während Wirtschaft und Politik immer noch mehrheitlich das tut, was sie in den letzten Jahrzehnten am besten konnten: aufschieben, verschleiern und lügen.

 

Bewusst oder nicht stehen heute viele Menschen näher bei Greta als sich Beobachter wie Bettina Weiguny vorstellen können. Sie haben erkannt, dass ein „weiter so“ zur Katastrophe führt. Statt zaghaften Reformen brauchen wir grundlegenden Systemwandel. Warum steigt etwa das Interesse an Gemeinwohlökonomie so enorm? Das Buch von Christian Felber wird zum Bestseller, hier besprochen. Viele fordern Bürgerräte und mehr Demokratie, weil sie die Grenzen heutiger Politik erkannt haben. Auch Maja Göpel fordert radikales Umdenken und wird dabei zum Medienstar (ihr Buch auf dieser Seite, mit Links zu Video-Auftritten). Die Menschen, die ich auf den Straßen Stades getroffen und gesprochen habe, sind nicht wutentbrannt. Sie sind dankbar, dass Greta eine Tür aufgestoßen hat in einen Raum, in dem sie nicht alleine sind. Wie groß dieser Raum ist, wie weltumspannend, lernen wir bei Bettina Weiguny. Lasst uns also nachsichtig sein mit ihren dramaturgischen Kniffen.