ein Abriß von Walter Tauber

 

Tom Piabay Rhein

Der Klimawandel ist schuld. Das ist leicht gesagt. Und allzu leicht zu ertragen. Er ist ja so weit weg. Ich recycle, fahre Rad, steige trotz DB in die Bahn, bezahle CO2-Kompensation wenn ich fliege... was soll ich denn noch mehr tun? Also wende ich mich innerlich ab, kümmere mich um mein Leben.

Plötzlich die Katastrophe: Unwetter, Starkregen, Überschwemmungen. Menschen und Häuser werden vom Strom hinweg gerissen. Meißen, Niedersachsen, Ahrtal, überhaupt Süddeutschland. Zwei Menschen ertrinken im eigenen Keller. Zwei von hunderten Toten. Es geschieht öfter als man denkt zeigt etwa diese ernüchternde Chronik (bis 2021): https://www.rnd.de/wissen/extremwetter-hochwasserkatastrophen-in-deutschland-LZT2LX2G37XAP2YRDT55WHHDIA.html
So auch Der Standard aus Wien: „Die letzten drei Jahrzehnte zählten zu den hochwasserreichsten Perioden in Europa. Die Veränderungen bei den Flusshochwässern stehen in engem Zusammenhang mit der Klimaerwärmung.“ (https://www.derstandard.de/story/2000118925847/historischer-vergleich-hochwaesser-werden-mehr-und-veraendern-sich)

Spontane Hilfsbereitschaft angesichts der Katastrophe stärkt dann oft das Vertrauen in die Menschheit. Klagen, Ausreden und mangelnde Hilfeleistungen erhärten dagegen die Ansicht, dass Politik nichts mehr taugt. Und dass Kommunen meist ahnungslos sind. Von 329 befragten Landkreisen und Städten hatten, so diese Studie, nur ein Viertel ein Schutzkonzept: https://correctiv.org/aktuelles/klimawandel/2023/07/12/wasser-mangel-hitze-starkregen-duerre-deutschland-landkreise-unvorbereitet-extremwetter/. Hitze, Dürre, Hochwasser – das hängt alles zusammen. Aber was kann man dagegen tun? Sparen, bis man sich ein e-Auto oder eine Wärmepumpe leisten kann? Da geht doch mehr.

Tom Piabay RheinDenn Katastrophen sind keine biblische Heimsuchung sondern eine Folge davon, wie wir mit der Natur umgehen und unsere Städte bauen. Und ganz unabhängig davon, ob wir den Temperaturanstieg global in den Griff kriegen, was mehr als zweifelhaft ist, können wir sehr viel tun, um das Leben in unseren Städten angenehmer zu gestalten. Um Leben überhaupt auf Dauer zu ermöglichen. Ein Anfang liegt auf der Hand, oder eher unter den Füssen: Immer mehr Böden werden mit Asphalt oder Beton versiegelt. Wir ersticken das Leben anstatt es zu fördern.

In der nordamerikanischen Stadt Portland (Oregon) fingen 2008 Bürger an, selbst Hand an zu legen. Die Initiative „Depave“ (https://www.depave.org/) hat bislang 33'000 Quadratmeter entsiegelt – also Beton und Asphalt durch Grünflächen ersetzt. Es fing bescheiden an: 2007 zog Arif Khan nach Portland. Er wollte einen Garten an Stelle seines asphaltierten Hofes. Freunde halfen ihm, den Belag zu entfernen. Dann wollte ein Café in der Nähe das auch versuchen. Es folgten Schulen, Kirchen, Bürgervereine (https://www.fastcompany.com/90946563/were-going-to-get-messy-inside-the-depave-movement-thats-swapping-asphalt-for-green-space).

Dabei geht es längst nicht mehr nur um den Wunsch nach einem Garten. Übermäßige Versiegelung hat Städte in Hitzeinseln verwandelt. Und Folge der extremen Temperaturen sind auch extreme Niederschläge und Überschwemmungen. Dazu kamen Jahrzehnte lang Maßnahmen gegen die Flüsse, wie Begradigung und Trockenlegung der Auen. Was die Holländer im Alten Land vollbrachten, mag damals sinnvoll gewesen sein – noch heute ist das Gebiet wirtschaftlich sehr produktiv. Doch wurde das Austrocknen von Flusslandschaften auf die Spitze getrieben. Heute weiß man, dass die Auen lebenswichtig sind.

„Weiß man“ ist leider oft nur eine Redewendung: 2018 lehnte Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger neue Flutpolder an der Donau ab. Die Polder seien teilweise überflüssig und teuer weil "so ein Polder ja nur alle 100 Jahre mal geflutet wird" (https://www.br.de/nachrichten/bayern/hat-bayern-beim-hochwasserschutz-genug-getan,UEZ8ba0).

Man rechnet im Hochwasserschutz mit statistischen Werten (HQ 100 etwa bezeichnet ein Hochwasser, das statistisch einmal in hundert Jahren auftritt, daher die dümmliche Aussage von Aiwanger). Diese statistischen Werte werden jedoch durch die zunehmende Versiegelung und mangelnden Überflutungsflächen verkürzt: Hochwässer die sonst HQ100 waren, können nun auf einmal ein HQ 50 oder gar HQ 20 werden, also viel häufiger auftreten. Das hat nichts mit Klimawandel aber viel mit den oben geschilderten Versiegelungen zu tun.
Und natürlich kostet das alles viel Geld: 2021 haben Bund und Länder mehr Geld für die Beseitigung der Flutschäden im Juli 2021 als für den Klimaschutz ausgegeben. Laut einer Studie der Schweizerischen Rückversicherungs-Gesellschaft, werden „bis zum Jahr 2040 die wetterbedingten Katastrophenschäden in Deutschland um 90 Prozent zunehmen (https://www.fr.de/wirtschaft/klimawandel-kosten-schaeden-ahrtal-versicherungen-steuern-umwelt-oekonomie-studie-deutschland-zr-92191904.html)

LucyKaef Pixabay Meißen ElbeGenaue Planung und für jeden Bereich angepasste Methoden sind dringend notwendig. „Klassischer Hochwasserschutz (Deiche, Dämme) verschärft das Hochwasser im Unterlauf, dort wird das Hochwasser dadurch höher und kommt schneller,“ erklärt der Umweltexperte und Stader Ratsherr Tristan Jorde. „Schaffung von kontrollierten Überflutungsflächen und Rückhaltebecken bewirkt das Gegenteil, die Hochwasserwelle wird langsamer und flacher.“

Während die Restaurierung von Flussauen ohne Zweifel nur durch die Politik beschlossen und durchgeführt werden kann, läßt das Entsiegeln und die Begrünung von Städten viel Platz für lokale Initiative. Von Ontario in Kanada bis in die australische Großstadt Melbourne haben Nachahmer von „Depave“ zu Pickel und Schaufel gegriffen (https://www.bbc.com/future/article/20240222-depaving-the-cities-replacing-concrete-with-earth-and-plants). Auch Kommunen merken allmählich, dass Begrünung nicht ein hübsches Beiwerk ist, sondern Notwenigkeit. Die Stadt London regt ihre Bürger dazu an, ihre Grundstücke zu begrünen. Handfester ist die Initiative „ontharden“ im belgischen Leuven. Die Gemeinde will systematisch gegen Asphalt vorgehen. Und seit diesem Jahr müssen Bauherren nachweisen, dass Regenwasser, das auf ihr Grundstück fällt, entweder aufgefangen und wieder genutzt wird oder im Garten versickern kann.

Und in Deutschland? Bei genauerem hinsehen entdeckt man mehr als erwartet. Bund, Kommunen und Umweltverbände haben zahlreiche Richtlinien oder Empfehlungen publiziert. Die hier unten angeführte Liste enthält reichlich Information und zeigt Quellen zum weiter forschen. Dabei erkennt man, dass keine Ausrede mehr gilt, um nicht dringend etwas zu tun gegen die Katastrophen. War die Tragödie von Ahrtal vermeidbar? Und heute die Donau-Überflutungen? Wahrscheinlich. Die Politik hat auf der ganzen Linie versagt. Will sie das aber auch einsehen und eingestehen?

Bei uns im Landkreis Stade scheinen die Verantwortlichen optimistisch zu sein. Man hat die Gefahr erkannt: „Wetter- und Starkregenereignisse sind eine besonders tückische Gefahr, weil sie einerseits nicht langfristig vorhersagbar sind und damit die Vorwarnzeiten nur sehr kurz sind“, erklärte Kreisdezernentin Nicole Streitz dem Stader Tageblatt (https://www.tageblatt.de/Nachrichten/Wie-gut-sind-Menschen-im-Kreis-Stade-gegen-Hochwasser-geschuetzt-152112.html) . Schwinge, Este und Lühe sind in Gefahr, wenn Sturmfluten drohen. Dessen ist man sich bewußt. Auch scheinen die zuständigen Behörden zu wissen, wo Maßnahmen notwendig sind, so der schon zitierte Tageblatt Bericht. Wird es dafür aber Finanzierung geben? Oder muss uns erst wieder eine Katastrophe vor Augen führen, wie dringend Entsiegelung und Hochwasserschutz sind?

 

Links Hochwasserschutz und Versiegelung

Bund, Länder und Kommunen

https://www.umweltbundesamt.de/daten/flaeche-boden-land-oekosysteme/boden/bodenversiegelung

https://www.umweltbundesamt.de/themen/wie-boden-vor-hochwasser-schuetzt

https://www.umweltbundesamt.de/themen/klima-energie/klimafolgen-anpassung/werkzeuge-der-anpassung/tatenbank/kommunale-ueberflutungsvorsorge-in-zeiten-des

 

Europa

https://www.eea.europa.eu/de/help/haeufig-gestellte-fragen-faq/was-ist-bodenversiegelung-und-weshalb

 

Verbände, Vereine, Institutionen

https://difu.de/projekte/kommunale-ueberflutungsvorsorge

https://www.wwf.de/themen-projekte/fluesse-seen/hochwasser/hochwasser/

https://www.nabu.de/natur-und-landschaft/fluesse/hochwasser/hochwasserschutz.html

https://www.nabu.de/umwelt-und-ressourcen/oekologisch-leben/balkon-und-garten/pflege/boden/24138.html

https://www.greencity.de/entsiegelung/

 

Publikationen, journalistische Beiträge

https://nachhaltigkeit-lexikon.com/bodenversiegelung-von-natuerlichen-boeden/

https://correctiv.org/aktuelles/klimawandel/2023/07/12/wasser-mangel-hitze-starkregen-duerre-deutschland-landkreise-unvorbereitet-extremwetter/

https://www.deutschlandfunk.de/bodenversiegelung-leben-und-sterben-unter-dem-asphalt-100.html

https://www.ardmediathek.de/video/alles-wissen/die-folgen-der-bodenversiegelung/hr-fernsehen/Y3JpZDovL2hyLW9ubGluZS8xNTE2Mzg

https://www.umweltbundesamt.de/themen/wasser/extremereignisse/hochwasser#hochwasser-sind-naturliche-ereignisse

https://www.bbc.com/future/article/20240222-depaving-the-cities-replacing-concrete-with-earth-and-plants

https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/bodenatlas-studie-zustand-klimawandel-100.html

https://www.futura-sciences.com/de/bodenversiegelung-gruende-und-oekologische-folgen_7066/

https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-662-66696-8_20

https://www.deutschlandfunk.de/bodenentsiegelung-als-ausgleich-fuer-neubauten-ein-gutes-100.html