Ein Kommentar zur Abschiebehaft

 

„Minderjährige und Familien sollen künftig grundsätzlich nicht mehr in Abschiebehaft und Ausreisegewahrsam genommen werden können…“ sagt der CDU-Politiker Christoph de Vries zum „Rückführungsverbesserungsgesetz“. „Auch das ist eine Verschlechterung und keine Verbesserung gegenüber dem Status quo…“

Das Zitat ist im entsprechenden Plenarprotokoll nachzulesen. Viel diskutiert wurde dieses neue Gesetz, welches zahlreiche Verschärfungen im Asyl- und Migrationsrecht mit sich bringt. Ausreisegewahrsam etwa soll künftig nicht mehr für „nur“ 10 Tage, sondern bis zu 28 Tage angeordnet werden können. Das bedeutet, dass Menschen die strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten sind bis zu 28 Tage inhaftiert werden können. Ebenfalls soll das Ankündigen der Abschiebungen entfallen, wenn keine Kinder unter 12 Jahren betroffen sind.

Seit fast einem Jahr engagiere ich mich neben meinem Jurastudium in der ehrenamtlichen Rechtsberatung der Abschiebehaftberatung Nord (https://abschiebehaftberatung-hh.de/) und habe nach meiner Ausbildung in Form von zwei Wochenendseminaren und Hospitation vor knapp einem halben Jahr meinen ersten Fall übernommen.

Ich wusste schon lange, dass in der Asyl- und Migrationspolitik vieles falsch läuft. Und ich wusste auch, dass der Großteil der Menschen davon kaum etwas mitbekommt, da die von der Abschiebung Betroffenen keine „Lobby“ haben. Ihre Interessen und Probleme werden kaum wahrgenommen. Dass die Zustände jedoch so schlimm sind, wie ich sie jetzt erlebe, habe ich nicht erwartet.

Dazu möchte ich exemplarisch einen meiner letzten Fälle schildern:

Mit Beschluss von Mitte Januar 2024 hat das Amtsgericht Hamburg gegen den Betroffenen Andre (Name von der Redaktion gegeben) Sicherungshaft (Haft zur Sicherung der Abschiebung, § 62 Abs. 3 AufenthG) für die Dauer von einem Monat angeordnet. Andre ist drei Jahre älter als ich und kam erstmals mit 14 Jahren als unbegleiteter Jugendlicher nach Deutschland. Im Rahmen der Akteneinsicht habe ich die mehrere hundert Seiten umfassende Gerichts- und die noch umfassendere Ausländerakte gelesen. Nach seiner Einreise wurde ihm vom Familiengericht ein Vormund bestellt. Er ist hier zur Schule gegangen und hat einen Schulabschluss erworben. Anschließend wollte er eine Ausbildung machen und legte der Ausländerbehörde einen entsprechenden Arbeitsvertrag vor, um sich weiter im Bundesgebiet aufhalten zu dürfen. Andre spricht fließend Deutsch, was auch die Kommunikation zwischen uns erleichtert hat. Für ihn war es nicht das erste Mal in Abschiebehaft. Bereits mit 18 Jahren kam er auf Antrag der Ausländerbehörde durch Beschluss des Amtsgerichts in Haft. Begründet wurde dies mit „Fluchtgefahr“. Einer Begründung, die sich nur allzu häufig bei der Anordnung von Abschiebehaft findet, da sie gemäß § 62 Abs. 3a AufenthG in vielen Fällen widerlegbar vermutet wird. Das bedeutet, dass das Gericht nicht feststellen muss, dass Fluchtgefahr besteht, sondern, dass das Gericht feststellen müsste, dass diese nicht besteht. Eine sehr schwierige sowie aufwendige Sache …

Bereits in diesem jungen Alter saß Andre in Haft und hat zahlreiche Gerichtsverfahren vor Zivil- sowie Verwaltungsgerichten mitgemacht. Und das alles, obwohl er fließend deutsch spricht, hier eine Schulausbildung genossen hat und arbeiten wollte. Die Annahme des Ausbildungsplatzes wurde ihm verwehrt, da er keinen Personalausweis vorlegen konnte. Auch darum hat er sich bemüht und seine Geburtsurkunde vorgelegt und mit dem Konsulat seines Geburtsstaates Kontakt aufgenommen. Er hat alles ihm Mögliche unternommen, um zumindest ein Passersatzpapier ausgestellt zu bekommen.

Das Gerichtsverfahren zum letzten Haftbeschluss haben wir schließlich gewonnen. Das Amtsgericht Itzehoe ordnete an, dass der Betroffene sofort aus der Haft zu entlassen ist, da der gestellt Haftverlängerungsantrag der Ausländerbehörde unzulässig war. Das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht, welches darauf abzielt, für den Betroffenen eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung zu erreichen, läuft noch mit Unterstützung einer Anwältin.

Fraglich ist, wie das Verfahren ohne unsere Unterstützung ausgegangen wäre. So wird das Asyl- und Migrationsrecht im Jurastudium kaum bis gar nicht thematisiert. Insofern hat der Großteil der Jurist:innen von diesem Thema nicht viel Ahnung. Da stellt sich die Frage, wie ein Laie das ganze Verfahren verstehen soll und wissen soll, wie ein ordnungsgemäßer Haftantrag gestellt sein muss und welche Punkte vor Gericht angegriffen werden können. Das wissen teilweise nicht mal die Gerichte selbst, was wir daran erkennen, dass wir oftmals vor den Amtsgerichten – in der ersten Instanz – noch verlieren, die Verfahren dann aber in der zweiten Instanz vor den Landgerichten aufgrund von Rechtsfehlern der ersten Instanz gewinnen.

poster 7297156 1280Und auch die Ausländerbehörden scheinen nicht über fundiertes juristisches Wissen in diesem Bereich zu Verfügen. Andernfalls lässt sich kaum erklären, warum wir zirka 50% aller Verfahren gewinnen. Zum Vergleich: Im Strafrecht kommt es nur in zirka 10% aller Verfahren zum Freispruch. Jetzt liegt die Annahme nahe, sich darüber zu freuen, dass wir so viele Verfahren gewinnen. Auf der anderen Seite bedeutet jedes gewonnene Verfahren aber auch, dass eine Person zu Unrecht ihrer Freiheit beraubt wurde.

Eine Verbesserung könnte dadurch eintreten, dass den Betroffenen in solchen Verfahren aufgrund des Beschlusses des Bundestages vom 18. Januar 2024 nun von Amtswegen ein:e Pflichtverteidiger:in beizuordnen ist. Allerdings bleibt die Frage, wie viele Anwält:innen sich für diese Aufgabe finden und wie kompetent diese beraten können. Wir arbeiten mit einigen Anwält:innen zusammen, die allesamt Expert:innen auf dem Gebiet sind, die aber bereits jetzt an ihre Belastungsgrenzen stoßen. Insofern stehen kaum noch kompetente Anwält:innen zur Verfügung, die die Masse an Verfahren übernehmen könnten. Zudem ist das Asyl- und Migrationsrecht wie gesagt nicht Teil der universitären Ausbildung. Das bedeutet, dass alle Menschen, die vernünftig in diesem Bereich arbeiten sowie beraten möchten, an einer Fortbildung teilnehmen müssten. Ob sich da genug Menschen für finden, bleibt fraglich. Hoffen wir das Beste.

Das waren die Abläufe in den Verfahren rund um die Abschiebehaft aus meiner Sicht. Ich könnte hier noch unendlich weiter ausführen. Mir ist wichtig, dass alle Menschen Kenntnis von den Zuständen in der Abschiebehaft erhalten. Deshalb möchte ich noch auf folgende Artikel verweisen:

https://www.ndr.de/nachrichten/schleswig-holstein/Abschiebehaft-Glueckstadt-Bewohner-haben-keine-Sozialberatung,abschiebehaft198.html

https://taz.de/Abschiebehaft-in-Glueckstadt/!5987424/

https://taz.de/Brand-in-Abschiebehaft-Glueckstadt/!5987965/

https://www.deutschlandfunkkultur.de/isoliert-im-gefaengnis-abschiebehaft-in-deutschland-dlf-kultur-4ef9b656-100.html

Zu meiner Person:
Ich bin Tim Evers, 21 Jahre alt und studiere im vierten Semester als Stipendiat der Heinrich-Böll-Stiftung Rechtswissenschaft (Jura) an der Universität Hamburg.
Ich bin Mitglied im Rat der Hansestadt Stade für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und engagiere mich ehrenamtlich bei der Abschiebehaftberatung Nord und Amnesty International.

Ich freue mich über weitere Gedanken, Rückfragen, Lob und Kritik!